Sunday, January 10, 2016

Die ausgedachte Geschichte - Tante Gerda und der schwarze Mann

Die Sonne ging gerade auf als ich durch die ersten Geräusche des Tages wach wurde. Etwas stimmte nicht an diesem Morgen. Etwas war anders. Als ich mich im Bett aufsetzte und durch das Fenster dankbar in das Schauspiel des steigenden Feuerapfels blickte, da sah ich durch den Garten eine dunkle Gestalt schleichen, die eine lange Kette hinter sich her zog. Das Rasseln der Kette hatte einen dämonischen Klang, der in meinem Kopf die Illusion von Zahnschmerzen erzeugte.

Mein Herz fing an zu klopfen und von einem Moment auf den anderen war ich wach. Der Tag der Prophezeiung war gekommen.

Meine Tante mütterlicherseits, Tante Gerda hatte an meinem Kinderbettchen vorausgesagt, dass ich eines Tages von einem schwarzen Kettenmann in den Tod gerissen würde.

Nun ´war Tante Gerda das Enfant-terrible der Familie gewesen und weil sie gerne so viel trank, wie zwei Kerle und so viele Drogen ein warf, wie ein Junkie, hatte ihr niemand geglaubt. So sagten sie es jedenfalls. Aber alle erzählten die Geschichte immer und immer wieder, so als ob sie stimmen würde. Und ich hatte das Mitleid in ihren Augen gesehen. Der arme Junge, was für ein Schicksal ihn erwartete.

Ich sprang auf hechtete in die Diele. Dort stand seit Jahren ein Baseballschläger, der für den schwarzen Mann bestimmt war. Ich griff ihn. Das Holz war glatt und rund.  Er wog schwer in meiner Hand und ich fragte mich, ob er ausreichen würde den schwarzen Mann wieder dorthin zu schicken, wo er her gekommen war:  In die Delirien-Vorstellungen meiner Tante.

Es klingelte. Ich war im Schlafanzug, dennoch öffnet ich die Tür vorsichtig.  Der Bezirksschornsteinfeger lächelte mir zu. "Er müsse dann mal an den Schornstein und die Heizungsanlage", sagte er und trat ohne weiteres in die Diele ein.

Er ignorierte meinen Baseballschläger, murmelte er kenne den Weg und machte sich von dannen.. Ich schaute noch einmal nach draußen, aber dort war keine weitere Person. So schloss ich die Tür und lief zurück an das Fenster, von wo aus ich im Aufwachen einen schwarzen Mann mit Kette gesehen hatte.

Plötzlich hörte ich einen lauten Schmerzensschrei. Ich warf den Baseballschläger fort, mit dem ich mir albern vorkam und lief in Richtung Schreie, die vom Dachboden kamen. Auf dem Dachboden angekommen bot sich mir ein Anblick des Schreckens. Der Schornsteinfeger war nicht zu sehen und der alte Schornstein schien eingebrochen zu sein, so als ob er auf dem Dachboden umgefallen wäre, wie ein kleines Türmchen, dessen Zeit gekommen war.

Den Schornsteinfeger sah ich nicht aber ich hörte sein Rufen. Ich trat auf den Rumpf des Schornsteins zu und sah ungläubig den Schornsteinfeger, der an einer Art Kette im Schornstein zu baumeln schien.

"Ziehen sie mich hoch", schrie er.  Dabei deutete er mit dem schmerzverzerrten Gesicht auf etwas, was wie ein Kette auszusehen schien. Er hielt sich mit einer Hand daran fest, der andere Arm hing schlaff herunter, so als ob etwas gebrochen wäre.

Eine Gänsehaut von einem déja vu erfasste meinen ganzen Körper, der schwarze Mann, seine Kette alles war da. Hier und jetzt würde mein Leben enden, dachte ich erschreckt.
Doch dann entschloss ich mich dass nicht annehmen zu wollen. Bewusst suchte ich mir einen anderen Punkt am Schornstein, weit von der Kette entfernt und es gelang mir die Jacke des Schornsteinfegers zu packen und ihn mit einer gewaltigen Kraftanstrengung herauszuziehen. In dem Moment wo der Schornsteinfeger auf dem Dachboden sicher wieder lag, da stürzte ein weiterer Teil des Schornsteins in den dunklen Schlund des Kamins. "Nur gut, dass sie nicht meinem Vorschlag gefolgt sind. Wir wären jetzt beide im Kamin verschwunden."

Ich nickte und schaute nach Luft schnappend in den Schornstein. "Danke Tante Gerda", sagte ich laut. "Danke."
Seither habe ich meine Tante wieder lieb und ich fürchte keine schwarzen Männer mit Ketten mehr. Na ja, was will ich mehr....

1 comment:

AnnaFelicitas said...

Guten Morgen lieber Rainer,

sie ist zu schön, um seziert zu werden. Daher beschränke ich mich auf ein schlichtes DANKE! für diese wunderbare Geschichte, in die so viel hineinzudeuten ist.

Alles Liebe
Anna

PS: Wolltest du nicht ein Buch herausbringen? Hat es geklappt? Wurde es veröffentlicht? Wie ist sein Titel?